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Herausforderungen und Chancen für die Schulsozialarbeit
Erstellt
Thema Schulsozialarbeit
von Barbara Brecht-Hadraschek
Sascha Mase ist seit zweieinhalb Jahren Bereichsleiter der Schulbezogenen Sozialarbeit. Bei der tandem BTL arbeitet er schon seit 2011. Im Interview blickt er zurück auf die Entstehung des Bereichs und beschreibt, wo er für die Zukunft neue Aufgaben und Herausforderungen sieht und wie sich der Bereich weiterentwickeln wird.
Tandem-Redaktion: Schulbezogene Sozialarbeit hat eine lange Tradition bei der tandem BTL. Dieses Jahr stehen ja einige Jubiläen an – welche sind das?
Sascha Mase: Eines der ältesten Projekte der tandem BTL ist die Tagesgruppe Marzahn, die dieses Jahr ihr 20-jähriges Bestehen feiert. Die Tagesgruppe in Marzahn-Hellersdorf ist unser erstes schulersetzendes Angebot. Zu den diesjährigen Jubilaren gehören aber auch die Projekte „Coole Schule“ an der Jean-Piaget-Schule und der Konrad-Wachsmann-Schule, die ebenfalls schon 15 Jahre bestehen und wie die Tagesgruppe zu den schulersetzenden Angeboten in Marzahn-Hellersdorf gehören. Wir werden diese Jubiläen im Herbst gebührend feiern.
Angebote der schulbezogenen Sozialarbeit
Tandem-Redaktion: Welche weiteren Angebote gibt es im Rahmen der schulbezogenen Sozialarbeit bei der tandem BTL?
Sascha Mase: Bereits 1994 entstanden die ersten Schulstationen, das waren damals noch Arbeitsförderungsprojekte. In Zehlendorf wurden dann zum ersten Mal Schulstationen in Kooperation von Schule und Jugendhilfe entwickelt. Damals war das eine Innovation und hat als Modell deutschlandweit Geschichte geschrieben. Derzeit haben wir 20 Schulstationen und ähnliche Angebote – meist an Grundschulen, aber auch an Förderzentren, die durch die bezirklichen Jugendämter finanziert werden.
2007 wurde schließlich vom Land Berlin das Landesprogramm Jugendsozialarbeit an Berliner Schulen aufgelegt. Derzeit arbeiten wir in diesem Angebot an 28 Schulen aller Arten. Mit dem Angebot „Flexible Schulbezogene Sozialarbeit“ an der Karlsgarten-Grundschule entstand schon 2010 ein Angebot speziell für die Zielgruppe schuldistanzierter Schüler*innen als temporäre Lerngruppe im Grundschulbereich. Es war eines der ersten Angebote in dieser Form in Berlin. Das Besondere ist dabei die Finanzierungsform „Hilfen zur Erziehung“. An drei Grundschulen bieten wir diese besondere Form der Schulsozialarbeit an.
Mit der Einführung der Integrierten Sekundarschule und der Einrichtung von Ganztagsschulen ab dem Schuljahr 2010/11 sind wir auch an dieser Entwicklung beteiligt und kooperieren hier mit sieben Integrierten Sekundarschulen. Im Bonusprogramm für Schulen mit einer hohen sozialen Belastung konnten außerdem seit 2014 neue Kooperationen entstehen - neben der klassischen Schulsozialarbeit auch in Angeboten für Schulbibliotheken, im Medienbereich und handwerklichen Angeboten für Schüler*innen. In Kooperation mit der Ki.D.T. gGmbH – auch ein Unternehmen der VdK-Gruppe – entwickelten wir an der Wedding-Grundschule sogar logopädische und ergotherapeutische Förderangebote. Im Bonusprogramm sind seitdem 36 neue Angebote entstanden.
Was bewirkt Schulsozialarbeit?
Tandem-Redaktion: Die Schulbezogene Sozialarbeit ist also immer wieder ganz neue Wege gegangen.
Sascha Mase: Genau. Wir sind an vielen Entwicklungen im Bereich der Kooperation Schule und Jugendhilfe in Berlin beteiligt gewesen. Und die Stadt Berlin ist aus unserer Sicht eine Vorreiterin in diesen Entwicklungen in Deutschland. Wichtig ist, dass diese Innovationen keine von oben initiierten Prozesse waren. Unsere Mitarbeiter*innen spielen eine ganz entscheidende Rolle bei der Entwicklung von innovativen Angeboten. Immer wieder haben sie die Bedarfe an den Schulen erkannt und die Entwicklung neuer Angebote vorangetrieben, waren bei der Implementierung aktiv beteiligt. Dank unserer Mitarbeiter*innen konnten wir wachsen und gemeinsam mit Jugendämtern und Schulen neue Angebote für die aktuellen Bedarfe der Schulen entwickeln. Derzeit arbeiten in unserem Bereich ca. 130 Menschen an 42 Schulen in ganz Berlin.
Tandem-Redaktion: Was bewirkt Schulsozialarbeit an Schulen? Kann man das messen?
Sascha Mase: Unsere Angebote werden von Schülerinnen und Schülern, deren Familien, Lehrkräften und Jugendämtern stark nachgefragt. Dass Schulsozialarbeit wirkt, bestätigt die Evaluation des Landesprogrammes Jugendsozialarbeit an Berliner Schulen durch Prof. Dr. Karsten Speck von der Uni Oldenburg. Bei den Indikatoren Schulabschluss und Schuldistanz wurde eine deutliche Abnahme in Schulen mit Schulsozialarbeit festgestellt und ein signifikanter Unterschied zu Schulen ohne Schulsozialarbeit. Dort stieg die Zahl von Schüler*innen ohne Schulabschluss sowie die Fehlzeitenquote sogar an. Außerdem wurde festgestellt, dass Schulen mit Angeboten der Schulsozialarbeit die Zahl der Schulabbrüche deutlich senken konnten.
Tandem-Redaktion: Ein spannendes Ergebnis. Bleibt zu hoffen, dass diese Evaluation auch bei Entscheider*innen der Politik entsprechend gewürdigt wird. Wie evaluieren Sie die Qualität der Arbeit innerhalb ihres Bereiches?
Sascha Mase: Für die Evaluation der Qualität unserer Angebote haben wir eigene Prozesse entwickelt. Neben Ziel- und Angebotsplanungen, Zwischen- und Sachberichten sowie festen Austausch- und Besprechungsstrukturen steht dabei das Kooperationsgespräch im Zentrum. Es dient als realer Ort für Austausch und Feedback mit den Kooperationspartner*innen – den Schüler*innen, Eltern, der Schule und dem Jugendamt, das jährlich an jedem Standort mindestens einmal stattfindet. Ganz aktuell haben unsere Abteilungsleiter*innen eine Fibel entwickelt zum Verständnis und den Schwerpunkten der Schulbezogenen Sozialarbeit. Diese Fibel beinhaltet Handlungsmaxime und Kernprozesse unserer Arbeit. Außerdem möchten wir unsere Angebote in Zukunft wirkungsorientiert ausrichten. Deshalb werden wir das Konzept der „Wirkungsorientierung“ von Phineo einführen, das uns als Instrument helfen soll, die Wirkung unserer Angebote sichtbarer zu machen. Die tandem BTL arbeitet schon seit 2017 daran, dieses Konzept nach und nach im gesamten Unternehmen zu verankern. Für den Bereich der Schulsozialarbeit gab es 2018 ein Einführungsprojekt im Fachteam „HzE-an-Schule“. Im Ergebnis ist eine Broschüre zum wirkungsorientierten Arbeiten in Sozialpädagogischen Kleingruppen entstanden. 2019 werden alle unsere Mitarbeiter*innen das Konzept der Wirkungsorientierung kennenlernen und erste Schritte in der Anwendung gehen.
Perspektiven der Schulsozialarbeit
Tandem-Redaktion: Welche aktuellen Bedarfe sehen Sie im Bereich Schule für Angebote der Schulsozialarbeit?
Sascha Mase: Im Koalitionsvertrag der Rot-Rot-Grünen-Koalition ist als Ziel festgelegt, jede Schule in Berlin mit Schulsozialarbeit auszustatten. Diesen Bedarf sehen wir auch – ob Jugendsozialarbeit oder Schulstation. Wir können dieses Ziel nur unterstützen und gehen davon aus, dass das Landesprogramm Jugendsozialarbeit an Berliner Schulen weiter ausgebaut wird. Von Schulleiter*innen hören wir außerdem immer wieder den Bedarf an Kleingruppen oder Kleinklassen für Kinder- und Jugendliche, die alternative Formen des Lernens benötigen und den Anforderungen einer Schulklasse mit mindestens 26 Schüler*innen noch nicht gewachsen sind. Wir sehen außerdem den Bedarf, die Konzepte für den Ganztag an Integrierten Sekundarschulen weiterzuentwickeln und anzupassen. Außerunterrichtliche Bildungsangebote – wie Demokratieerziehung, politische Bildung und Partizipation – werden an diesen Schulen immer wichtiger.
Tandem-Redaktion: Welche Herausforderungen sehen Sie für den Bereich Schulsozialarbeit in den nächsten Jahren?
Sascha Mase: Derzeit sind wir sehr eingespannt in Gespräche mit den Bezirken über die Finanzierung der Schulstationen und anderer Schulsozialarbeitsangebote nach § 13.1 SGB VIII in dem Doppelhaushalt 2020/2021. Die uns zur Verfügung gestellten Personalkosten entsprechen nicht selten dem Stand des Tarifniveaus von vor 12 Jahren. Wir sind in den Gremien der Bezirke sehr aktiv – ob in Jugendhilfeausschüssen oder anderen bezirklichen Gremien, aber auch in unserem Wohlfahrtsverband DPW. In der Steuerungsgruppe für die Kooperation Jugendhilfe-Schule versuchen wir, Einfluss auf die Politik zu nehmen.
Allgemein ist uns aufgefallen, dass in Politik und breiter Öffentlichkeit wenig Kenntnis über die Arbeit von Sozialarbeiter*innen und Erzieher*innen an Schulen vorhanden ist. In der öffentlichen Wahrnehmung ist Schule mit der Profession der Lehrer*innen gleichgesetzt – aktuell gut zu sehen an der Einführung von Brennpunktzulagen für Lehrer*innen.
Im ersten Schritt möchten wir uns deshalb zunächst innerhalb der Branche besser vernetzen, um im zweiten Schritt eine bessere Öffentlichkeit für die Schulsozialarbeit herzustellen. So nehmen wir im Oktober aktiv am Bundeskongress Schulsozialarbeit in Jena teil.
Eine weitere Herausforderung sehen wir in der Veränderung der fachlichen Anforderungen von Schulsozialarbeit. Haltungsfragen stehen da für uns im Vordergrund und wir möchten mit einer Zertifikatsausbildung zum Haltungskonzept „Neue Autorität“ unsere Mitarbeiter*innen stärken. Stärken möchten wir unsere Mitarbeiter*innen auch im Umgang mit und im Schutz vor Gewalt. Wir bilden in diesem Jahr zwei Mitarbeiterinnen zu Deeskalations-Trainerinnen aus, die ihr Wissen an die Mitarbeiter*innen weitergeben und so als Multiplikatorinnen für dieses Wissen agieren können. Dazu soll ein nachhaltiges Deeskalationsmanagement entstehen.
Tandem-Redaktion: Lieber Herr Mase, wir danken für das Gespräch.
Ansprechpartner Schulbezogene Sozialarbeit:
Sascha Mase, Bereichsleitung
Telefon: 030 443360-740
E-Mail: s.mase@tandembtl.de
Dieser Artikel erschien auch in unserem tandem MAGAZIN Ausgabe 4/2019. Das ganze Heft können Sie hier kostenlos herunterladen.
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